Die kluge Närrin

Von: Alfred Bosshardt | erstellt am: 01.11.2017

Die kluge Närrin von Lope de Vega

Der junge Held Liseo ist auf dem Weg nach Madrid. Dort erwarten ihn seine bildschöne Braut Finea und deren ebenso attraktive und vielseitig umworbene Schwestern Nisa und Sinefa; alles unter der strengen Obhut ihres Bruders Octavio. Und obendrein winkt eine sagenhafte Mitgift. Was soll da noch schiefgehen? Doch – warum in aller Welt ist nur Finea mit solch einer Mitgift ausgestattet und ihre Schwestern nicht? Ob da was faul dran ist?

Bald nach der Ankunft fällt Liseo der Groschen: Finea legt auffällige Verhaltensweisen an den Tag, ist begriffsstutzig und scheint überhaupt geistig etwas minderbemittelt zu sein. So wurde ihre Mitgift vergoldet, damit sie trotz ihrer anstössigen Auftritte unter die Haube gebracht werden kann. Doch trotz der lukrativen Perspektive scheint das Unternehmen bei einem Haar zu scheitern, nachdem es Laurencio, einem anderen Günstling der Bräute aus Versehen gelingt, die Liebe und Begierde in Finea zu wecken, worauf ihre geistigen Fähigkeiten wachgeküsst werden.

Allein so trivial, wie diese Ereignisse auf den ersten Blick erscheinen, sind sie aber beileibe nicht; dass die Allmacht der Liebe alle Probleme wie von Zauberhand wegwischen soll, greift zu kurz.

Die nähere Beleuchtung der historischen Hintergründe bringt aufschlussreiche Hinweise ans Licht: Im Jahre 1562 geboren wuchs der Autor im streng katholisch geprägten Spanien der Gegenreformation auf. Jesuiten, bei denen de Vega seinen ersten Unterricht genoss, predigten ein strikt moralisches Leben. Dessen ungeachtet führte de Vega durchwegs ein ausgelassen amouröses und sinnenfrohes Leben: Neben seinen drei Ehen pflegte er noch unzählige weitere Frauenbeziehungen. Und das tat er wahrscheinlich frei von moralischen Gewissensbissen; denn die Auffassung der sogenannten „Franziskanischen Mystik“, die zu dieser Zeit durch den Orden der katholischen Franziskanermönche verbreitet wurde, rechtfertigte sein Tun und muss ihm da sehr willkommen gewesen sein, um den Genuss des Lebens mit dem christlichen Glauben zu verbinden. Die franziskanische Mystik stellte die Forderung nach der bedingungslosen Liebe für alles Irdische und war eine Reaktion gegen die jesuitische gegenreformatorische Gesellschaftsmoral. Mit dem Mittel des Theaterstückes konnte de Vega nun dieser Ideologie, der er persönlich so viel verdankte, nicht nur ein Kränzchen winden, sondern durch das Medium Theater auch geschickt in einer grösseren Öffentlichkeit für sie werben, ohne die heiklen Hintergründe explizit anzusprechen. Ein Jahr nach Veröffentlichung und Uraufführung der klugen Närrin erhielt de Vega die Priesterweihen des Franziskanerordens.

Freilich stellte die praktische Auslegung dieser religiösen Geisteshaltung im orthodoxen Spanien des 16. Jh. ein Spaltpilz für die gängigen christlichen Moralvorstellungen dar und beinhaltete gehörige Sprengkraft in Bezug auf das traditionelle Gottesbild: Was, wenn wir vor dem jüngsten Gericht nicht auf ein sittsames Leben hin geprüft würden, sondern danach befragt werden, inwieweit wir den göttlichen Gaben des Genusses und der Liebe auch wirklich gefrönt haben? Da fänden sich ja heute mehr Menschen in der Hölle wieder, als zu Zeiten Lope de Vegas. Und ganz gewiss hätte heute ein promiskuitiver Theaterautor keine Chance auf die Priesterweihen. Es scheint fast so, als seien die gesellschaftlichen Gesetze unserer Gegenwartsgesellschaft lustfeindlicher und intoleranter als in Zeiten de Vegas.

Die Triebe interessieren sich – in Gottes Namen ! – nicht für moralische Dogmen. Die franziskanische Mystik bot den Menschen ein raffiniertes Rezept, wie mit dieser Erkenntnis zu verfahren sei. Eine Extraportion davon würde unserem heutigen Zusammenleben jedenfalls gut bekommen, wir könnten etwas entspannter leben, statt uns weiterhin in Verklemmtheit zu üben, bis wir gänzlich erstarrt sind.

Text: Alfred Bosshardt, Quellenrecherche: Barbara Martell